Jusqu'à la garde
Xavier Legrand, France, 2017o
In the midst of a divorce, Miriam Besson decides to ask for exclusive custody to her son, in order to protect him from a father that she is accusing of violence. The judge-in-charge of the file grants a shared custody to the father whom it considers abusive. Taken as a hostage between his parents, Julien Besson will do everything to prevent the worst from happening.
Häusliche Gewalt ist ein Problem, vor dem man viel zu leicht die Augen verschliessen kann. Dank herausragender Schauspieler, packender Bilder und fesselndem Erzähltempo bringt uns dieses Spielfilmdebüt nahe an eine dunkle Wirklichkeit. Zu Recht wurde es 2017 in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet.
Pierfrancesco BasileWie schwer es sein kann, in Sorgerechtsstreitigkeiten die richtigen Entscheidungen zu treffen, das lotet Xavier Legrand in seinem Spielfilmdebüt auf beklemmend realistische Weise aus. Auch als Zuschauer weiß man lange nicht, wem hier zu trauen ist, der Mutter (Léa Drucker) und ihrem elfjährigen Sohn, die von häuslicher Gewalt sprechen, oder dem Vater, der um sein Umgangsrecht kämpft und von Denis Ménochet zwischen fürsorglicher Ruhe und explosiven Gewaltausbrüchen in der Schwebe gehalten wird. Während das Drama in der Gegenwart seinen Lauf nimmt, erschließt sich langsam aus behutsam eingestreuten Rückblenden die Vorgeschichte.
Anke SterneborgAdmirablement maîtrisé, superbement joué par un impressionnant trio d’acteurs, ce thriller psychologique plonge dans le processus destructif des violences conjugales.
Jean-Claude RaspiengeasCe premier long métrage est un véritable coup de maître. Xavier Legrand dépasse les conventions d’un sujet de société et propose un film épuré à l’atmosphère étouffante, qui prend réellement aux tripes.
Gérard CrespoAutopsie d’une séparation, ce premier long métrage entre documentaire, film social et thriller glace les sangs et frappe en plein cœur. Indispensable.
Isabelle DanelGalleryo
Das geteilte Sorgerecht ist dem Vater in «Jusqu'à la garde» nicht genug – er will Rache.
Schon die Eröffnungsszene zeigt, wie sorgfältig Xavier Legrand seinen ersten langen Spielfilm vorbereitet hat. Er hat Anwälte und einen Familienrichter befragt – und stellt seine Protagonisten nun in einer fast dokumentarischen, spannungsgeladenen Situation vor:
Links sitzt die zerbrechliche, müde wirkende Miriam (Léa Drucker), deren Unbeweglichkeit man nicht zu interpretieren weiss; rechts der korpulente Antoine (Denis Ménochet), der ein gefährlicher Grobian, aber auch bloss ein sehr simpler Mensch sein könnte. Dazwischen eine verunsicherte, irritierte Richterin, die innert weniger Minuten zugunsten der einen oder des anderen entscheiden muss. Ihre wachen Augen untersuchen die unbekannten Gesichter, dann wieder die Akten.
Schliesslich wird das Urteil gefällt: Der gemeinsame Sohn Julien darf bei der Mutter bleiben, muss aber jedes zweite Wochenende mit dem Vater verbringen. Das klingt wie ein Sieg der Mutter, ist es aber nicht; denn auf diese Weise hat Antoine die Möglichkeit, den Kontakt mit Miriam aufrechtzuerhalten. Und er hat nur noch eines im Sinn: sich für das Scheitern der Ehe zu rächen. Atemlos verfolgt man, was nach dem richterlichen Urteil passiert, wie leicht dass verletzte Gefühle in brutalen Hass umschlagen.
Familiäre Gewalt ist ein Problem, vor dem man gern die Augen verschliesst. Nicht so bei diesem Film: Dank herausragender Schauspieler (der junge Thomas Gioria gibt einen nur allzu glaubwürdigen Julien) und fesselndem Erzähltempo bringt uns Xavier Legrand unheimlich nahe an eine dunkle Wirklichkeit. Zu Recht wurde «Jusqu’à la garde» 2017 in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet.