September 5
Tim Fehlbaum, Germany, USA, 2024o
Munich, September 5, 1972, the tenth day of competition at the Summer Olympics, which are supposed to show the world a cheerful Germany. But at 4:40 a.m., the early shift at US broadcaster ABC hears gunshots in the Olympic Village. Palestinian terrorists have taken eleven members of the Israeli team hostage. Against the resistance of its own news department, the ABC sports team reports live on the hostage-taking, changing television forever.
In diesem Medienthriller haben wir innert just neunzig Minuten gleich an zwei Ereignissen teil. Das erste: Wie die Sportreporter-Crew des amerikanischen Fernsehsenders ABC am 5. September 1972 in das Geiseldrama bei den olympischen Spielen von München verwickelt wird und 21 Stunden lang Fernsehgeschichte schreibt, weil ihre Kameras und Leute zufällig vor Ort sind. Das zweite: Wie der 42jährige Basler Regisseur Tim Fehlbaum nach den Genrefilm-Talentproben Tides und Hell den Sprung zur grossen Karriere schafft, indem er einfach alles richtig macht. Packend geschrieben und inszeniert, glänzend besetzt, gefilmt und montiert, rollt der Film auf, wie palästinensische Terroristen ins kaum gesicherte olympische Dorf eindrangen und die israelische Delegation als Geiseln nahm, um inhaftierte Kämpfer freizupressen. Das formale Geschick der Fehlbaum-Crew überspielt dabei mühelos, dass es sich bei diesem politischen und menschlichen Drama um ein Kammerspiel handelt, das fast ausschliesslich im improvisierten Fernsehstudio von ABC am Rand des Olympiageländes spielt. Clever auch, wie sich aus dem dichten Zusammenspiel von journalistischem Handwerk und Instinkt, Konkurrenzdenken und Kalkül der Figuren ohne jedes Moralisieren das moralische Dilemma herausschält, das seither alle visuellen Medien kennzeichnet: Erstmals wurde in München dem Terrorismus durch die Liveübertragung jene globale Bühne geboten, die er mit seinen Schreckens-Inszenierungen sucht. Alle Involvierten erahnen augenblicklich diesen Zusammenhang, reagieren intelligent und besonnen – und können sich seiner Dynamik doch nicht entziehen. Eine Dynamik der positiven Art hat September 5 für den Regisseur in Gang gesetzt: Der Film wurde für die Golden Globes (bestes Drama) und einen Oscar (bestes Original-Drehbuch) nominiert und gewann mit 9 Lolas kürzlich fast alle deutschen Filmpreise.
Andreas Furler